Businesstheater gibt es in jeder Organisation. Und wir alle spielen mit! Was soll das? Wem nützt das? Was steckt dahinter? Wie entsteht es und vor allem: Ist es schädlich?
Fragen über Fragen. Bevor im Businesstheater aber schon wieder alle Plätze ausverkauft sind, bleib dran, setz dich hin und schalte den Flugmodus ein: Vorhang auf für Drama, Beschäftigung und echte Arbeit.
Businesstheater: Was meinen wir eigentlich damit?
Stell dir deine Organisation wie ein Theaterstück vor. Drei Blickwinkel – bzw. Bühnen werden dann relevant: Die bunte Schauseite, die Vorderbühne und die Hinterbühne.
Mit der Schauseite einer Organisation ist jede:r Bewerber:in schon einmal in Kontakt gekommen. Man sitzt bspw. im Bewerbungsgespräch oder nimmt den Webauftritt eines Unternehmens unter die Lupe und stellt fest, dass sich die Organisation von ihrer „Schokoladenseite“ präsentiert.
Der Zweck ist klar: Hier sollen potentielle Bewerber:innen und Kund:innen neugierig gemacht werden, ähnlich einem Ticketvorverkauf im Theater.
Spätestens bei Eintritt ins Theater aka Organisation lernt man aber auch die beiden anderen Seiten kennen. Die Vorderbühne beschreibt – um im Theatersprech zu bleiben – die offiziellen Regieanweisungen, also die Spielregeln nach denen aufgeführt… ach pardon, zusammengearbeitet wird.
Jeder Theatergast und jede Schauspielende weiß: Die Magie spielt sich hinter dem Vorhang ab. Auf der Hinterbühne. Ohne gut funktionierende Hinterbühne läuft auf der Vorderbühne oft gar nichts. Hier kommen eingeschliffene Praktiken, Tricks und Maßnahmen zum Tragen, die das Schauspiel auf der Vorderbühne erleichtern, obwohl man ggf. am offiziellen Regieplan vorbeiimprovisiert (Kühl, 2018).
Businesstheater entsteht nun also, wenn sich jede:r gemäß der eigenen Rolle an die offiziellen Regieanweisungen auf der Vorderbühne hält, jedoch allen klar ist, dass zum Gelingen der Aufführung auf der Hinterbühne andere Strippen gezogen werden müssen – am Regieplan vorbei und unbemerkt vom Publikum.
Beispiel gefällig?
Im Projekt hapert es und es steht kurz vor der Bruchlandung. In den Regieanweisungen des Managementcockpits steht klar und deutlich vermerkt: Hier muss sofort ein Eskalationsmeeting aufgeführt – äh durchgeführt werden und managementseitig eine kräftige Entscheidung zum weiteren Vorgehen getroffen werden.
Ob Martha Managerin als Privatperson dies für gut befindet oder nicht, kommt meistens nicht zum Tragen. In ihrer Rolle als Managerin spürt sie die an sie adressierten Erwartungen. Und so erlebt das „Eskalationsmeeting“ eine neue Uraufführung: Alle Beteiligten spielen mit. Wohlwissend, dass das Projekt nur dann vor dem Crash bewahrt werden kann, wenn Peter Projektleiter und Silke Security im Nachgang noch an der Kaffeemaschine „hinter dem Vorhang“ darüber schnacken, wie man die Kuh denn nun wirklich vom Eis bekommt.
Zentral sind an dieser Stelle zwei Aspekte, die wir nacheinander aufgreifen wollen und die dazu beitragen können, das Businesstheaterphänomen noch weiter auszuleuchten.
Punkt 1: Es sind nicht Manager:innen, Projektleiter:innen oder Mitarbeiter:innen Schuld am Businesstheater.
Jetzt kann angeführt werden, dass sich Personen in Organisationen auf eine bestimmte Art und Weise verhalten und damit zum Geschehen beitragen. Das ist zwar nicht gänzlich falsch, nur bringt uns die personenzentrierte Perspektive an dieser Stelle nicht weiter als bis zur irreführenden Schuldfrage, die an dieser Stelle deplatziert ist.
„Solange wir Helden und Schuldige brauchen, um eine Situation plausibel zu erklären, haben wir sie noch nicht verstanden.“ – Dr. Gerhard Wohland
Dieses Zitat passt wunderbar in die Theateranalogie. Jedes Mitglied einer Organisation bekleidet in diesem (Arbeits-)Kontext eine Rolle, an die Erwartungen geknüpft sind und das Verhaltensspektrum der Rolle eingrenzen.
Dieses Konzept der sozialen Rollen bringt uns eine weitere, wertvolle Perspektive: Wie auch beim Theaterspiel stehen die Rollen bei Eintritt in die Organisation in gewisser Weise fest, sind im Skript beschrieben und mit Regieanweisungen ausgestattet. Um im jeweiligen sozialen System anerkannt und akzeptiert zu werden, verhalten sich Menschen mehr oder weniger entsprechend ihren sozialen Rollen entlang der Spielregeln der Organisation.
Dabei macht es durchaus einen Unterschied, wer diese Rolle „spielt“. Wird die Rolle des Projektleitenden sowohl von Peter als auch von Petra ausgeführt, dann unterscheiden sich die beiden Rollen formal nicht. Die Art und Weise, wie die beiden Personen ihre Rolle „spielen“ kann jedoch einen bedeutenden Unterschied für die Kommunikation in der Organisation machen.
Sowohl Petra als auch Peter haben also einen Interpretationsspielraum in ihren Rollen, aber eines können beide nicht: Das Skript sowie die Erwartungen und Regieanweisungen an die Rolle verändern.
Irgendwo ist dann eben Schluss und bei einer allzu freien Interpretation ließe sich darüber nachdenken, ob die Rolle nicht von einer anderen Person – im Sinne der Aufführung auf der Vorderbühne – „besser“ gespielt werden könnte.
Ein Zwischenfazit ist: Obwohl Businesstheater an der ein oder anderen Stelle albern wirkt, verhalten sich Personen in ihren eigenommenen sozialen Rollen vernünftig. Denn spielen sie nicht mit, riskieren sie ihren Ausschluss vom System.
Punkt 2: Businesstheater ist eine organisationale Funktion zur Aufrechterhaltung der Wertschöpfung.
Bitte was? Kein Stress, der akademische Klugschiss wird zeitnah aufgeklärt. Bei der Auseinandersetzung mit Businesstheater wird meistens die Frage gestellt: Ist das nun gut oder schlecht? Bewertungsfrei kann zunächst gesagt werden, dass es einfach ist. Problematisch wird es jedoch, wenn die Reibungsverluste zwischen Vorder- und Hinterbühne zu groß werden. Wie ist das gemeint?
Der Dreh- und Angelpunkt in Wirtschaftsorganisationen ist die Wertschöpfung. Um im Theaterbild zu bleiben: Die Wertschöpfung ist der rote Faden im Theaterstück. Der Grund, weshalb das Stück überhaupt aufgeführt wird. Ob die Aufführung gelingt, hängt von vielen Faktoren ab. Besetzen die richtigen Personen die richtigen Rollen? Passen die offiziellen Regieanweisungen? Wie sieht`s mit der Dramaturgie aus – ist der Spannungsbogen stimmig? Klappt das Zusammenspiel zwischen Vorder- und Hinterbühne? All diese Faktoren braucht es (und vermutlich noch dutzende mehr) für den Erfolg.
An dieser Stelle kann also festgehalten werden, dass Wertschöpfung in Organisationen – wie das gelingende Theaterstück selbst – von beiden Bühnen lebt, der Vorder- und der Hinterbühne. In Organisationen entsteht Businesstheater als natürlicher Mechanismus zur Aufrechterhaltung der Wertschöpfung, denn nicht alles, was es für die Aufführung braucht, kann alleinig auf der Vorderbühne über den offiziellen Regieplan und die Darstellung abgebildet werden. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer.
Treten Überraschungen auf, die den offiziellen Regieplan (Spielregeln, Praktiken, Prozesse usw.) einer Organisation „stören“, dann muss auf der Hinterbühne improvisiert werden, bestenfalls so, dass es „vorne“ nicht auffällt.
Passiert das nur hin und wieder einmal, dann ist das kein Problem. Wenn Überraschungen aber Alltag werden, und in vielen Organisationen ist das heute der Fall, dann herrscht ein reges Treiben auf der Hinterbühne, um weiterhin Probleme lösen und die Wertschöpfung aufrecht erhalten zu können – gleichzeitig muss die Vorderbühne aber weiterhin bespielt werden.
Die Krux dabei: Je weiter Vorder– und Hinterbühne auseinanderklaffen, umso größer wird auch die Doppelbelastung für die beteiligten Personen und je nach Kompensationsgeschick dieser wird früher oder später die Wertschöpfung darunter leiden.
Wir halten fest: Businesstheater ist nicht automatisch schädlich für die Wertschöpfung einer Organisation. Ganz im Gegenteil. Das Theater ist oft die
(Not-)Lösung des Dynamikproblems. Gefährlich wird es für Organisationen nur dann, wenn Wettbewerber:innen in der Lage sind, das Skript ständig so anzupassen, dass keine Doppelbelastung in der Wertschöpfung entsteht bzw. sie mit einem flexiblen Skript arbeiten, das Improvisation als Stärke für den Umgang mit Überraschungen erkennt und sie immer dann zulässt, wenn mit einer solchen umzugehen ist.
Schädlich ist Businesstheater also nur dann, wenn in Organisationen die eigentliche Arbeit zu kurz kommt, weil eine Aufführung gespielt wird, die nicht zur Wertschöpfung beiträgt. Letzteres nennen wir Beschäftigung. Sehr vereinfacht gesagt sprechen wir bei Tätigkeiten immer dann von Arbeit, wenn es darum geht, ein vom Kunden angeliefertes (echtes) Problem zu lösen. Alle Tätigkeiten in einer Organisation, die zur Lösung eines externen (Kunden-)Problems beitragen sind demnach Arbeit, alles andere ist Beschäftigung.
Nun gibt es in den meisten Organisationen Praktiken, für die kein Kunde je bezahlen würde und die trotzdem als immer wiederkehrende Rituale unhinterfragt bedient werden, weil sie irgendwann in der Historie einer Organisation eine Funktion erfüllt haben. Dazu zählen beispielsweise Mitarbeiterjahresgespräche, Mitarbeiterbefragungen, ausufernde Freigabeprozesse, Projektabschlussberichte, Reportingstrukturen, Absicherungsmails usw., die in erster Linie reine Beschäftigung darstellen und in den meisten Fällen die eigentliche Problemlösung auf die Hinterbühne verdrängen. Schädlich daran ist, dass die Praktiken bespielt werden, ohne dass sie nützlich im Sinne der Wertschöpfung sind oder ihr derzeitiger Nutzen überprüft wird. Frei nach dem Motto: „So haben wir das aber immer schon gemacht!“ Stimmt schon. Irgendwann in der Vergangenheit wird eine bestimmte Praktik auch einen Nutzen gehabt haben, sonst hätte sie sich nicht nachhaltig etabliert. Die Gretchen Frage ist nur: Besteht dieser Nutzen weiterhin? Tut er dies nicht, lauert hier schädliches Businesstheaterpotential.
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Und was, wenn das Businesstheater die eigentliche Wertschöpfung blockiert?
Die Königsdisziplin ist sicherlich, den schmalen Grat zwischen schädlichem und funktionalem Businesstheater zu erkennen. Dafür sind übrigens nicht nur externe Berater:innen hervorragend geeignet, sondern auch neue Mitarbeitende. Wieso? Beide sind (noch) kein Teil des organisationalen Systems und dies kann sich gezielt in Organisationen zu Nutze gemacht werden. Das Wort Betriebsblindheit kommt schließlich nicht von ungefähr. Wer noch nicht von der Kultur einer Organisation eingenommen ist, der stellt viel eher mal die Frage: „Was soll das?“
Und was tun, wenn man vermeintlich schädliches Businesstheater enttarnt hat? Weniger ist (manchmal) mehr! Das Weglassen von Praktiken, bei denen man annimmt, dass sie unnötiges Businesstheater provozieren, kann eine Möglichkeit sein, um herauszufinden, ob es anders nicht besser geht. Höchstleisterorganisationen sind Meister darin, schädliche Praktiken einfach wegzulassen. Besteht also der Verdacht, dass eine spezifische Praktik schädliches Theater auslöst, dann ist eine kluge Frage: Können wir das sein lassen?
Vorhang auf für den Praktikenputz! Aber Obacht: Da eine Organisation ihr hochkomplexes Eigenleben besitzt, sollte gut beobachtet werden, was sich auf Vor- und Hinterbühne abspielt.
Versuch macht klug!