Was Managementpabst Peter Drucker schon vor Jahren mehr als treffend formulierte, gehört heute längst zum (nicht hinterfragten) Alltag in den meisten Organisationen. Die Krux dabei: Ein Großteil dieser Praktiken kommt aus einer Zeit, als der Markt an Organisationen noch vollkommen andere Anforderungen zu stellen pflegte, als es heute der Fall ist. Damals trugen Ab-teilungsstrukturen, Arbeitsvorgaben und Meilensteinplanungen zur erfolgreichen Administration der Norm bei. Die Abwicklung des immer gleichen Problems bildet heute jedoch nicht mehr die Lebensrealität der meisten Organisationen ab. Stattdessen nehmen Überraschungen und Dynamik zu. Parallel dazu lässt sich beobachten, dass die allgemein grassierende Irritation ansteigt, dass mehr “Steuerung” aus dem Management-Werkzeugkasten den Umgang mit Komplexität nicht erleichtert, sondern gar erschwert. Wie lässt sich diesem “Knoten im Kopf” in der Praxis wirksam begegnen?
“90 Prozent der Praktiken, die wir Management nennen, bewirken nichts weiter, als Menschen von ihrer Arbeit abzuhalten.” (Peter Drucker)
Bevor wir in das Thema einsteigen, kann eine Unterscheidung zwischen Arbeit und Beschäftigung helfen, um die Umstände in Organisationen präzise zu beschreiben. Arbeit, so Autor und Berater Reinhard K. Sprenger, ist immer Arbeit für andere, sonst ist es Beschäftigung. Zentral ist an dieser Stelle, dass die Umgebung einer Organisation der Markt ist. Der Markt konfrontiert die Organisationen mit „Problemen”. Probleme sind im Gegensatz zu Herausforderungen Reize, die die Organisation nicht ignorieren kann, da sie direkten Wertschöpfungsbezug aufweisen. Ein Reiz, der der Umgebung zugerechnet wird, ist somit ein externer Reiz. Alle anderen sind interne Reize. Bei niedriger Marktdynamik können externe Reize (externe Referenzen) von der Organisation in interne Reize (Referenzen) übersetzt werden. Daraus resultieren Prozesse, Kennzahlen und weitere Strukturelemente, die darauf abzielen, ein immer wiederkehrendes Problem, für die Organisation vor dem Hintergrund des Effizienzgedankens steuerbar zu machen – die Paradedisziplin der BWL. Die Prämisse dahinter: Alles schön und gut, funktioniert jedoch nur, wenn der Markt auch wirklich stillhält und sich die Anforderungen an die Organisation nicht verändern.
In hochdynamischen Märkten hingegen provoziert der Steuerungsgedanke der BWL vor allem eines: Ineffizienzen und Verschwendung. Da Prozesse, Regeln und Handbücher Kompliziertheit adressieren, sind sie ungeeignet für den Umgang mit Überraschungen. Da eine Überraschung per Definition als der „Wechsel der Erwartung aufgrund des Eintreffens neuer Daten“ definiert werden kann, wird an dieser Stelle deutlich, was im Unternehmensalltag häufig frustrierend festgestellt wird: Überraschungen lassen sich weder Planen noch Managen. Vielmehr braucht es in einer solchen Situation die passenden Talente, die ihre klugen Köpfe zusammenstecken und eine Idee zur Lösung des Problems entwickeln.
Was aber tun, wenn die “passenden Talente” gar nicht zusammenarbeiten können, weil sie erstens nichts voneinander wissen und oder zweitens in unterschiedlichen Ab-teilungen nebeneinanderher, statt zusammenarbeiten? Wie viel Können und Potential in Organisationen aufgrund dieser Umstände ungenutzt bleibt, ist nicht nur schade, sondern auch in höchstem Maße unwirtschaftlich. Unwirtschaftlich vor allem deswegen, weil vielerorts “die Richtigen” nicht miteinander, sondern vielfach sogar gegeneinander arbeiten. Das liegt nicht daran, dass es dem Personal am richtigen Teamplayer-Mindset oder der Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme mangelt, was sich aus Sich der Personalentwicklung in Coachings oder mit anderweitigen Maßnahmen gezielt entwickeln ließe. Nein: Es liegt schlichtweg daran, dass die meisten Organisationen Verantwortungsübernahme und echte am konkreten Problem orientierte Zusammenarbeit systematisch verhindern.
Denn die meisten Organisationen sind organisationsstrukturell für den Markt von vor 80 Jahren gebaut. Das Pyramiden- und Matrixorganisationen nun einmal nicht für den Umgang mit Dynamik “gebaut” sind, dafür können die beiden nichts. Es ließe sich jedoch viel Chaos und Verschwendung in Organisationen abwenden, würde man den Status-Quo des Organisationsdesigns in Frage stellen, statt die Motivation, Verantwortungsbereitschaft oder Kompetenz des Personals.
Menschen verhalten sich (entsprechend ihrer Kultur) immer vernünftig. Harter Tobak? Starker Positivismus? Verklärter Blick durch die Brille der positiven Psychologie? Nichts dergleichen. Ein Beispiel soll aufzeigen, was gemeint ist:
Kurswechselpraxis-Beispiel: In einer Organisation finden sich Dutzende Freiwillige für spannend anmutende Innovationsprojekte, die der Vorstandsvorsitzende in die Organisation einkippt. Leider bleiben dadurch drückende Kundenanfragen auf der Strecke. Sind die Mitglieder der Organisation der Priorisierung nicht mächtig? Werden hier etwa Egoismen sichtbar? Statt Helden und Schuldige zu suchen, sollte gefragt werden, warum es vernünftig ist, sich genauso zu verhalten. Plötzlich steht die ungeschriebene Spielregel: „Wer Vorstandsprojekte wuppt, der ist hier wer!“ im Raum. Die Frage ist nun, welche Formalstruktur(en) dieses Verhaltensmuster provoziert haben könnte(n). Jemand kommt auf die Idee, dass die Ursache der fehlende Kunden- bzw. Marktkontakt der Einheiten sein könnte. Kundenfeedback Fehlanzeige. Zug vom Markt ebenfalls. Wenn die Organisationsstruktur Marktnähe durch bspw. Abteilungslogiken ausklammert, fehlt die externe Referenz (das echte Kundenproblem), an der die eigene Wirksamkeit überprüft werden kann. Wenn Vorankommen auf der Karriereleiter zudem mit dem Thema Sichtbarkeit beim Vorstand gekoppelt ist, dann verhalten sich doch plötzlich wieder alle vernünftig und das Priorisierungsseminar kann abgesagt werden…
Anhand des Praxisbeispiels wird deutlich, dass Menschen feine Antennen für die geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln in Organisationen haben. Möchte man “dem Sinn im Unsinn” in Organisationen auf Schliche kommen, bedarf es daher einer zusätzlichen Perspektive, die weder die Betriebswirtschaft noch die Arbeitspsychologie herzustellen vermag. Die Rede ist von der organisationssoziologischen Betrachtungsweise oder um es mit Benno Löfflers Worten zu sagen, der Perspektive, dass sich Organisationen am besten verstehen lassen, wenn man sich die Menschen für einen Moment wegdenkt. Die organisationssoziologische Systemtheorie betrachtet Organisationen als soziale Systeme, die nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationsmustern bestehen. Übertragen auf die gängige Praxis in Organisationen und deren Entwicklung, ist es daher aus dieser Sicht etwas unterkomplex gedacht, die Menschen zu entwickeln, um die Organisation weiterentwickeln zu wollen, da die Menschen nicht die Problemursache einer Organisation darstellen. An dieser Stelle kann eine Analogie für Klarheit sorgen.
Ein Freundeskreis trifft sich zum Spieleabend und spielt “Mensch-Ärger-Dich-Nicht!”. Bei Beobachtung der Szenerie könnte man den Freunden untereinander durchaus den Teamgeist absprechen und ihnen unfaires bzw. antisoziales Verhalten vorwerfen, da sie sich ja permanent gegenseitig “rausschmeißen”. Aber das ist doch der Sinn des Spiels, als erste:r Spieler:in alle vier Spielfiguren ins Haus zu buxieren und die anderen Spieler:innen genau daran zu hindern! Stimmt. So sind nun mal die Spielregeln. Mensch-Ärger-Dich-Nicht ist ein kompetitives Spiel. Niemand würde das Verhalten eines Spielers ernsthaft monieren, da die Spielregeln das gezeigte Verhalten auf dem Spielbrett ja regelrecht provozieren. Das Ding ist nur: In den meisten Organisationen haben wir es mit einer sehr vergleichbaren Situation zu tun. Auch die dort herrschenden expliziten und impliziten Spielregeln schüren ein kompetitives Spiel der Beteiligten untereinander. Im Gegensatz zur Spieleabendsituation ist es denjenigen nur meistens nicht bewusst.
Die Erkenntnis daraus: Menschen verhalten sich entsprechend der herrschenden Spielregeln des jeweiligen Sozialsystems “vernünftig”. Beobachtest du in deiner Organisation also schädliche Verhaltens- oder Kommunikationsmuster ist die Frage zu stellen, welche expliziten oder impliziten Spielregeln dieses Muster provoziert haben könnten. Eine Erkenntnis für die sowohl die BWL als auch die Arbeitspsychologie blind sind.
Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden: Um deiner Organisation hinreichend auf die Schliche zu kommen und wirksame Organisationsentwicklung betreiben zu können, helfen dir sowohl die Brille der BWL als auch die der Arbeitspsychologie. Einige sehr wertvolle Erkenntnisse lassen sich aber erst dann erzielen, wenn man die beiden Sichtweisen, um die der Organisationssoziologie ergänzt. Dies wird deutlich, wenn man sich das Wesen der drei Lehren vor Augen führt:
So zielt die BWL darauf ab, über Aufbau-, Ablauforganisation und Managementpraktiken eine reibungslose Steuerung eines Betriebes herzustellen. Wie obig hergeleitet, funktioniert das prima, wenn die Anforderungen gleichbleiben und eher mittelprächtig, wenn die Überraschungsdichte zunimmt. Für die “Eigenlogik” einer Organisation fernab von Linie- und Projektstrukturen ist die BWL blind.
Die Arbeitspsychologie beleuchtet das Erleben und Verhalten von Menschen im Kontext Arbeit und zielt darauf ab, die Menschen und ihre Beziehungen untereinander zu optimieren. Bestimmende Themen sind dabei u.a. die Leistungsfähigkeit sowie das Motivations- und Stresserleben der Organisationsmitglieder. Die Personenzentrierung der Arbeitspsychologie lässt jedoch die Spielregeln der Organisation außen vor und zeigt sich irritiert, wenn Personalentwicklungsmaßnahmen, Teambuildinginterventionen oder Führungskräfteseminare ihre erhoffte Wirkung verfehlen.
Wird im allgemeinen Sprachgebrauch von Systemtheorie gesprochen, dann wird unter diesem Terminus eine interdisziplinäre Betrachtungsweise zur Beobachtung und Beschreibung von Systemen subsumiert. Bei Kurswechsel beziehen wir uns in unserer Arbeit auf die neuere soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann, die sich als ein messerscharfes Denkwerkzeug für die Analyse von Organisationen entpuppt und uns dabei unterstützt, kluge Fragen jenseits der betriebswirtschaftlichen und arbeitspsychologischen Denke zu formulieren.
Um es mit Kurt Lewins Worten zu sagen “Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.” Wenn du also feststellst, dass deine Organisation zu langsam für den dynamischen Markt ist, du Silodenken aufbrechen und dein Unternehmen auf das nächste Level einer lernenden Organisation bringen möchtest, dann ist es höchste Zeit für (d)einen Kurswechsel und das zusätzliche Einschalten der systemtheoretischen Perspektive. Woher du die bekommst? Im Rahmen unserer 16-wöchigen Ausbildung schauen wir gemeinsam mit dir über den Tellerrand der Betriebswirtschaftslehre und der Arbeitspsychologie hinaus und geben Dir konkrete Hilfestellung, wie Du mit deiner Organisation die Probleme der neuen Arbeitswelt effektiv lösen kannst, um auch langfristig erfolgreich am Markt zu bestehen.