Strategietheater – Wie Unternehmen Zukunft spielen, statt sie zu gestalten

In vielen Unternehmen wird Planung mit Denken verwechselt. Klingt vernünftig, ist aber oft nur die Reproduktion des Vergangenen in einer neuen Excel-Tabelle. Während PowerPoint die Welt erklärt, passiert das Entscheidende auf der Hinterbühne: dort, wo Menschen improvisieren, beobachten, reagieren.

Die Vorderbühne der Gewissheit

Es gibt in Unternehmen diese eigentümliche Jahreszeit, in der die Zukunft eine Excel-Tapete bekommt. Strategieklausur. Fünfzig Maßnahmen, dreißig Verantwortliche, zwanzig Prioritäten. In Personentagen werden Aufwände kalkuliert, in Scorecards bewertet, in Roadmaps harmonisiert. Am Ende ist alles abgestimmt – und niemand bewegt sich.

Die Präsentationen sind makellos: saubere Achsen, klare Ziele, bunte Pfeile in Richtung Wachstum. Zwei Tage lang wird über Künstliche Intelligenz, Kundenpotenziale und Innovationsstrategien gesprochen. Doch die Musik spielt in den Pausen – dort, wo Deals geschlossen, Allianzen geschmiedet und politische Linien gezogen werden. Was auf der Bühne passiert, ist meist nur das Ritual der Planbarkeit. Man spielt die Kontrolle, weil man sie braucht. Die Folien geben Sicherheit, wo die Realität unberechenbar ist. Man nennt es Strategie – meint aber Planung.

Die strategische Hinterbühne

Die eigentliche Strategiearbeit findet anderswo statt: auf der Hinterbühne. In den informellen Gesprächen zwischen zwei Terminen.
In der improvisierten Abstimmung zwischen Vertrieb und Entwicklung, wenn sich ein Markt plötzlich anders verhält als gedacht. Dort, wo noch Zeit bleibt, wirklich zu beobachten, anstatt zu präsentieren. Wo Menschen Entscheidungen treffen, bevor sie sie rechtfertigen. Hier entsteht, was Strategie im eigentlichen Sinn ausmacht: die Fähigkeit, auf Überraschung zu reagieren, statt sie zu verhindern. Unternehmen glauben oft, sie hätten eine Strategie, weil sie planen. In Wahrheit haben sie Pläne, weil sie keine Strategie haben. Planung erzeugt Ordnung, Strategie erzeugt Bewegung. Planung beantwortet, was zu tun ist; Strategie fragt, wozu.

Der Unterschied zwischen Steuerung und Führung

Hinter dieser Verwechslung steckt ein tieferer Irrtum: der Glaube, Organisationen ließen sich steuern wie Maschinen. Doch Unternehmen sind keine Motoren, sondern soziale Systeme – sie reagieren, interpretieren, widersprechen. Steuerung zielt auf Berechenbarkeit. Führung dagegen auf Sinnkopplung. Steuerung reduziert Komplexität; Führung hält sie aus. Steuerung braucht Regeln; Führung braucht Resonanz. In stabilen Zeiten mag Steuerung genügen. In dynamischen Umfeldern wird sie zum Risiko. Denn wer Kontrolle maximiert, erstickt Lernen.
Wer alles abstimmt, erzeugt Stillstand. Und wer jede Überraschung vermeiden will, verliert die Fähigkeit, sie zu verstehen.

Zusammenarbeit als Nebelmaschine

Auf die Unsicherheit reagieren viele Organisationen mit noch mehr Abstimmung. Mehr Meetings, mehr Alignment, mehr Transparenz. Der Kalender wird zum Verteilerkreis der Hilflosigkeit. Jede Irritation löst eine neue Synchronisation aus, jeder Konflikt eine Moderation. So wird Zusammenarbeit zur Nebelmaschine: Sie erzeugt das Gefühl, dass etwas passiert, während in Wahrheit nur Bewegung simuliert wird. Man trifft sich häufiger, aber entscheidet seltener. Es ist die paradoxe Logik moderner Organisationen: Je mehr sie sich koordinieren, desto weniger kommen sie voran.

Führung als Kommunikation von Differenz

Strategische Intelligenz zeigt sich nicht im Konsens, sondern in der Fähigkeit, Differenz auszuhalten. Gute Führung erlaubt Widerspruch, bevor sie Harmonie verlangt. Sie erkennt, dass Orientierung nicht aus Einheit entsteht, sondern aus Vielfalt – aus der Spannung zwischen verschiedenen Perspektiven. Organisationen erhalten ihre Stabilität nicht trotz, sondern durch Kommunikation. Genau das ist die Führungsaufgabe in der VUKA-Welt: Komplexität sprechen zu lassen, statt sie zu bändigen. Führung heißt dann nicht, Entscheidungen vorzugeben, sondern Kommunikation zu ermöglichen. Nicht das Ruder festzuhalten, sondern sicherzustellen, dass Bewegung bleibt.

Strategie braucht Strategen

Strategie ist keine Sitzungsvorlage und kein Papier. Sie entsteht dort, wo jemand den Mut hat, zu entscheiden, welche Probleme für die Organisation relevant sind – und welche nicht. In einer dynamischen Umwelt liegt die eigentliche Führungsaufgabe nicht im Lösen, sondern im Fokussieren: im Festlegen dessen, womit sich die Organisation beschäftigen soll. Denn nicht jedes Thema ist ein Problem, und nicht jedes Problem ist wichtig. Strategie heißt, zu unterscheiden, wofür Energie eingesetzt wird – und wofür nicht. Die Lösungen selbst entstehen nicht im Vorstandsbüro, sondern im Kontakt mit der Umwelt: dort, wo Menschen mit Kunden, Märkten, Technologien, Irritationen zu tun haben. Dafür braucht es Talente – Könner, die spüren, was sich verändert, und daraus Handlungsfähigkeit ableiten können.

Strategische Führung heißt also nicht, Pläne zu machen, sondern Räume zu schaffen, in denen diese Könner wirken können. Nicht alles wissen, sondern wissen, worauf es ankommt. Vielleicht ist das der Punkt, an dem Strategie wieder das wird, was sie sein sollte: keine Fassade der Gewissheit, sondern ein professioneller Umgang mit Ungewissheit – betrieben von Menschen, die entscheiden, wo die Zukunft relevant wird.

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