Systemisch vs. Systemtheoretisch

Ist systemtheoretisch einfach der schlauerklingende Begriff für systemisch? Oder ist systemisch etwa die Abkürzung von systemtheoretisch? Beide Begrifflichkeiten ähneln sich stark, was erklären dürfte, weshalb sie im allgemeinen Sprachgebrauch teilweise synonym benutzt werden. Dennoch meinen sie nicht das Gleiche. Verwirrt? Gern entwirren wir das Thema ein bisschen:

Wird gemeinhin von Systemtheorie gesprochen, dann wird unter diesem Terminus eine interdisziplinäre Betrachtungsweise zur Beobachtung und Beschreibung von Systemen bezeichnet. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass sich unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen seit Mitte des 20. Jahrhunderts damit auseinandersetzen, wie biologische, technische und soziale Systeme funktionieren. Bei Kurswechsel beziehen wir uns in unserer Arbeit auf die neuere soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann. 

Die Systemtheorie nach Luhmann ist eine in sich geschlossene Theorie mit präzisem Vokabular und einer in sich stimmigen und widerspruchsfreien Logik. Dadurch ist sie klar definiert, was wiederum die Abgrenzung zum Systemischen markiert. Damit ist die Systemtheorie nach Luhmann – sehr vereinfacht gesagt – vergleichbar zu Theorien der Physik oder der Mathematik. So wie sich beispielsweise die Elektronentheorie zur Erklärung des Leitvermögens von Stoffen auf Formeln, Gesetze, Modelle und Aussagen bezieht und in sich schlüssig ist, ist es die Systemtheorie nach Luhmann auch. Nur eben in Bezug auf die Beobachtung und Beschreibung von sozialen Systemen. Eben jenes markiert einen zentralen Unterschied zum Systemischen, dazu aber gleich mehr. Die neuere Systemtheorie fußt auf der Annahme, dass soziale Systeme nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikation(en) bestehen und unterstützt uns als Organisationsentwickler:innen beim Denken über und Verstehen von sozialen Systemen. Jeder Versuch sie an dieser Stelle konkreter darzustellen, würde allerdings kläglich scheitern – für tieferes Eintauchen in die Thematik gibt es ja schließlich auch die OrgCoach- Ausbildung.  

Nun zum Systemischen: Hierbei handelt es sich nicht um eine in sich geschlossene Theorie, sondern um ein Paradigma, dass durch unterschiedliche Theorien, Haltungen, Methoden und Werkzeuge inspiriert ist und im Gegensatz zur Systemtheorie ein eher handlungsleitendes Interesse im Umgang mit sozialen Systemen verfolgt. Nochmal zur Unterscheidung: Die Systemtheorie ist ein rein deskriptives Denkwerkzeug. Eine Navigationshilfe für den Verstand. Das bedeutet, dass sie keine Antworten formuliert, sondern wie wir Kurwechsler zu sagen pflegen, schweigt und dabei unterstützt, kluge Fragen abzuleiten. In der Praxis kann das bedeuten, das anhand eines konkreten Problems mit der Theorie im Köcher z. B. eine Idee entstehen kann oder zumindest acht von zehn Ideen ausgeschlossen werden können. Die Theorie macht aber keine konkreten Vorschläge zur Handhabung von Problemen. Das Systemische bezieht sich zwar teilweise auf die Luhmann’sche Systemtheorie, aber auch auf diverse andere Systemtheorien. Zudem greift der systemische Ansatz konkrete Methoden wie das zirkuläre Fragen, Aufstellungsarbeit und konkrete therapeutische Handlungsweisen auf. Hier geht es also insbesondere um konkrete Arbeitsmittel, die in der Praxis herangezogen werden können, um Kommunikationsmuster nicht nur zu beobachten, sondern sie auch zu verändern.  

Obwohl sich dieser Text bis hierhin auf die Unterscheidung und Abgrenzung der beiden Begriffe bezieht, sei an dieser Stelle betont, dass die neuere Systemtheorie und das systemische Denken nichts Gegensätzliches oder sich Ausschließendes darstellen, sondern sich- je nach Gebrauch- sogar äußerst klug ergänzen.  

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