Verloren im Erfolg: Warum Wettbewerbsfähigkeit kein Selbstläufer ist

Wettbewerbsfähigkeit. Ein Wort, das so selbstverständlich klingt, dass es kaum jemand hinterfragt. Schließlich existieren Organisationen, weil sie „am Markt“ bestehen. Ist das nicht der beste Beweis für Wettbewerbsfähigkeit?

Klingt logisch, ist aber ein gefährlicher Kurzschluss. Denn aktueller Erfolg ist längst kein verlässlicher Indikator für Zukunftsfähigkeit. Mehr noch, kann dies der schleichende Beginn der Selbstzufriedenheit und damit einer gefährlichen Trägheit sein.  Wir möchten in dieser Reflexion den Blick weiten: Wettbewerbsfähigkeit bedeutet mehr als aktuelle Marktperformance. Es geht um die Fähigkeit, sich immer wieder selbstkritisch anzupassen, Routinen infrage zu stellen und auch in unsicheren Zeiten handlungsfähig zu bleiben.

Entsprechend brachte der Führungsexperte und Konfliktmanager Reinhard K. Sprenger auf den Punkt: „Der Ursprung allen Scheiterns ist der Erfolg.“ In vielen unserer Beratungsmandate sehen wir genau das: Wo es lange „gut läuft“, verfestigen sich Praktiken, Narrative und Machtstrukturen. In Meetings hören wir Sätze wie: „Das haben wir schon immer so gemacht, es hat uns schließlich erfolgreich gemacht.“ Doch die Lösungen von gestern müssen nicht zwingend die Probleme von morgen adressieren.

Arbeit oder Beschäftigung?

Ein Blick hinter die Kulissen vieler Organisationen zeigt: Nicht alles, was nach Arbeit aussieht, schafft echten Wert. Oft wird viel Energie in Aktivitäten gesteckt, die intern wichtig wirken, aber außen kaum etwas bewegen. Zwischen echter Arbeit und bloßer Beschäftigung verläuft eine schmale, aber entscheidende Linie. Wert entsteht dort, wo Aufgaben direkt oder zumindest spürbar auf den Zweck der Organisation einzahlen – und damit nicht dort, wo Menschen vor allem damit beschäftigt sind, Prozesse zu bedienen, Meetings zu organisieren oder Reports zu pflegen, damit der Betrieb läuft, wie er immer lief.

Die unbequeme Wahrheit: In vielen Unternehmen wird mehr verwaltet als gestaltet. Und genau das steht langfristiger Wettbewerbsfähigkeit im Weg.

Die Taylorwanne – ein Denkmodell mit Wirkung bis heute

Ein Modell, das hilft, die versteckten Risiken von Erfolg zu verstehen, ist die sogenannte Taylorwanne. Der Begriff geht auf die Prinzipien des frühen industriellen Managements zurück, insbesondere auf die Ideen von Frederick Winslow Taylor, dem Begründer des Scientific Management. Sein Ansatz: Arbeit soll in kleinste Einheiten zerlegt, standardisiert und möglichst effizient organisiert werden. Was in der industriellen Fertigung des 20. Jahrhunderts bahnbrechend war, prägt viele Organisationen bis heute – und das weit über die Produktion hinaus, etwa wenn Prozesse optimiert und Abläufe perfektioniert werden. Soweit, so sinnvoll.

Doch genau hier setzt die Taylorwanne als Denkmodell an: Sie beschreibt eine typische Entwicklungskurve vieler Organisationen, die sich auf Effizienzsteigerung konzentrieren. Am Anfang steigen Produktivität und Leistung stark an, die Organisation „läuft rund“. Doch je stärker der Fokus auf Kontrolle, Standardisierung und Effizienz liegt, desto mehr verliert sie ihre Flexibilität. Kreativität, Lernen und Veränderungsbereitschaft nehmen ab. Die Organisation wird unbeweglich – und gerät in die „Wanne“, also einen Zustand, in dem sie zwar perfekt funktioniert, aber kaum noch auf neue Anforderungen reagieren kann.

Es wird perfektioniert, aber nicht mehr experimentiert

Exakt das wird in dynamischen, komplexen Umfeldern zum Problem. Denn in einer Welt, die sich ständig verändert, reicht es nicht, Dinge immer effizienter zu tun. Es braucht Organisationen, die ihre innere Beweglichkeit kultivieren, Routinen hinterfragen und die wachsam bleiben für das, was sich verändert.

Wachsamkeit als Prinzip

Wenn Anpassungsfähigkeit der Schlüssel zur Zukunft ist, dann ist Wachsamkeit der Mechanismus, der sie überhaupt erst möglich macht. Genau hierin liegt der entscheidende Unterschied zwischen erfolgreichen Organisationen, die auch langfristig wettbewerbsfähig bleiben und solchen, die in ihrer eigenen Effizienz erstarren. Doch diese Fähigkeit zur bewussten, vorausschauenden Veränderung fällt nicht vom Himmel. Sie ist nicht das Ergebnis einzelner Innovationsinitiativen, sondern Ausdruck einer inneren Grundhaltung: einer Organisation, die sich nicht auf ihren Erfolgen ausruht, sondern bereit ist, sich selbst immer wieder infrage zu stellen.

Diese Haltung nennen wir: Wachsamkeit. Sie ist mehr als ein diffuses „Achtsam sein“. Vielmehr geht es darum

  • zu sehen, was ist, statt nur das zu bestätigen, was schon immer als Erfolgsfaktor galt,
  • zu hinterfragen, wo Wert entsteht und wo nur Beschäftigung und
  • zu erkennen, wann Routinen bremsen und nicht mehr tragen.

Verloren im Erfolg – und was jetzt?

Diese Art von Wachsamkeit ist unbequem. Sie erfordert Führung, die Widerspruch aushält und ein kollektives Bewusstsein dafür, dass kein Zustand selbstverständlich ist. Was das in der Praxis bedeutet, wie Organisationen in die Trägheit des Erfolgs geraten und wie sie wieder den Fokus auf Wertschöpfung und Wirksamkeit zurückgewinnen können, beleuchten wir ausführlich in der Podcastfolge „Verloren im Erfolg: Warum Wettbewerbsfähigkeit schwindet“. Klingt spannend? Dann hör‘ doch mal rein!

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