Wettbewerbsfähigkeit – ein Begriff, den viele sofort mit Industrie, Technologie oder globalen Märkten verbinden. Doch auch in der Sozialwirtschaft, in Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen, ist er längst zum Schlüsselthema geworden. Wer hier nicht vorausschauend handelt, läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren – und das in einem Bereich, in dem es um weit mehr geht als um Zahlen: um Lebensqualität und Teilhabe.
Genau darüber sprach Carl-Georg Issing, Vorstand der Stiftung Waldheim, im Kurswechsel-Podcast. Seit 2007 trägt er Verantwortung für eine Organisation mit über 800 Mitarbeitenden, die Menschen mit unterschiedlichsten Bedarfen begleitet. Seine zentrale Botschaft: Wettbewerbsfähigkeit bedeutet in dieser Branche mehrdimensional zu denken – an die Menschen mit Beeinträchtigung, an die Kostenträger und an die Fachkräfte.
Wandel im Markt – Wandel in der Organisation
Die Umwelt der Stiftung Waldheim ist kein statischer Markt. „Wir sehen zunehmend höhere Hilfebedarfe“, so Issing. Autismus-Spektrum-Störungen, Doppeldiagnosen oder Demenz im Alter bei Menschen mit Behinderung: Die Anfragen verändern sich, und mit ihnen die Anforderungen an Einrichtungen. Hinzu kommt: Plätze für Menschen mit komplexen Bedarfen sind rar, weshalb Familien inzwischen bundesweit nach Angeboten suchen – mit allen Belastungen, die räumliche Entfernung mit sich bringt.
Für die Stiftung Waldheim ist das Chance und Herausforderung zugleich. Die Organisation muss sich öffnen für neue Bedarfe, ohne ihre gewachsenen Strukturen zu überfordern. Das heißt: Bewusst in die eigene Organisationsentwicklung investieren.
Organisationsentwicklung als Zukunftsinvestition
„Zukunftsfähigkeit“ – dieses Wort steht für Issing über allem. Nicht, weil akuter Handlungsdruck herrscht, sondern weil er den Moment nutzen will, in dem „nichts akut brennt“. Aus dieser Position der Stabilität heraus soll das Fundament für die nächsten Jahrzehnte gelegt werden.
Der laufende OE-Prozess zeigt, wie das gelingen kann: Zunächst wurde hingeschaut, welche Faktoren das Waldheim stark machen, wo Strukturen nicht mehr passen und welche Erwartungen der Markt und die Mitarbeitenden an die Organisation haben. Die Beteiligung ist groß – quer durch Generationen, vom Berufseinsteiger bis zur langjährigen Fachkraft kurz vor der Rente. Daraus sind Top-Themen entstanden, an denen interdisziplinär gearbeitet wird.
Für Issing ist das mehr als ein Projekt: „Es geht auch darum, Mitarbeitende zu befähigen, Zukunftsthemen selbstbewusst zu bearbeiten.“ Ergebnisse sind wichtig – aber ebenso die Entwicklung von Prozesskompetenz und einer gemeinsamen Haltung.
Mitarbeitende als Schlüsselfaktor
Kaum eine Branche spürt den Fachkräftemangel so deutlich wie die Eingliederungshilfe. Zwar konnte die Stiftung jüngst knapp 30 neue Auszubildende gewinnen – ein starkes Signal –, doch der demografische Wandel stellt die Personalplanung vor enorme Aufgaben. Viele erfahrene Fachkräfte der Boomer-Generation werden in den kommenden Jahren ausscheiden.
Hier entscheidet sich Wettbewerbsfähigkeit nicht nur über die Bezahlung oder digitale Präsenz, sondern auch über den Ruf als guter Arbeitgeber. Kultur, Sinnstiftung und eine berufliche Heimat spielen eine zentrale Rolle. Dabei gilt: Sinn allein reicht nicht. „Es ist kein romantischer Job“, betont Issing. Die Arbeit ist anspruchsvoll, erfordert Belastbarkeit und eine Organisation, die Mitarbeitende befähigt, diesen Anforderungen gerecht zu werden.
Zwischen Aufbruch und Respekt vor Veränderung
Der laufende Wandel ist für viele Mitarbeitende ein motivierender Aufbruch. Gleichzeitig bleibt die Frage: Wie gelingt es, ein traditionsreiches Unternehmen so zu verändern, dass sich auch die langjährig Beschäftigten weiterhin zuhause fühlen? Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich der Prozess.
Issings Blick nach vorn ist dabei klar: Wenn er in einigen Jahren zurückschaut, möchte er sagen können, dass er eine Organisation mitgestaltet hat, die auch langfristig den Zukunftsanforderungen gewachsen ist.
Fazit: Wettbewerbsfähigkeit als Balanceakt
Die Stiftung Waldheim zeigt, dass Wettbewerbsfähigkeit in der Sozialwirtschaft weder selbstverständlich noch eindimensional ist. Es geht um eine Balance zwischen Marktanforderungen, Mitarbeitendenzufriedenheit und der Verantwortung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wer diese Balance nicht aktiv gestaltet, verliert sie – mit Folgen, die weit über den eigenen Unternehmenserfolg hinausgehen.
Weiterführende Links
Die Stiftung Waldheim: https://www.stiftung-waldheim.de/
Die Podcastepisode: https://kurswexl.de/podcast/295-aus-der-praxis-im-gespraech-mit-carl-georg-issing-zur-wettbewerbsfaehigkeit-der-stiftung-waldheim/